Was sind die typischen Phasen für Hersteller in einer klinischen Prüfung?
DATUM
07. Mai 2021
AUTOR
Benjamin Sauer | VP Engineering
Was versteht man unter klinischen Prüfungen?
Klinische Prüfungen sind laut §4 Abs. 23 AMG „jede am Menschen durchgeführte Untersuchung, die dazu bestimmt ist, klinische oder pharmakologische Wirkungen von Arzneimitteln zu erforschen oder nachzuweisen oder Nebenwirkungen festzustellen oder die Resorption, die Verteilung, den Stoffwechsel oder die Ausscheidung zu untersuchen, mit dem Ziel, sich von der Unbedenklichkeit oder Wirksamkeit der Arzneimittel zu überzeugen.”
Ziel von klinischen Prüfungen in der Medizintechnik ist es, die Sicherheit und Leistung eines Produkts an einem oder mehreren Prüfungsteilnehmern systematisch zu untersuchen. In diesem Beitrag werden wir Schritt für Schritt die verschiedenen Phasen von klinischen Prüfungen für Medizinprodukte erläutern.
Konzeptphase
Jede klinische Prüfung sollte mit einem Konzept beginnen. Diese Phase kann als Synopsis verstanden werden, in der die wesentlichen Eckdaten des Medizinprodukts festgelegt werden. Die Prüfung muss sich an den konkreten Sicherheits- und Leistungsparametern des Prüfprodukts orientieren, wie etwa Zweckbestimmung und Planung der klinischen Bewertung. Die erste Herausforderung für Medizinproduktehersteller ist es oft, die klinische Leistung des Produkts sowie die Patientenpopulation zu definieren und herunterzubrechen.
Sobald die grobe Zweckbestimmung des Medizinprodukts steht, kann mit der Literaturrecherche begonnen werden. Für die klinische Bewertung sollte in Literaturquellen nach bestimmten Schlagworten gesucht und vergleichbare Geräte im Detail recherchiert werden. Sowohl die Parameter als auch der klinische Nutzen müssen dem medizinischen “State-of-the Art” (zu Deutsch: “Stand der Technik”) angepasst sein. Wer den Nutzen nicht an den Stand der Technik anpasst, wird später Probleme haben, das Produkt auf den Markt zu bekommen. Hier ist es vor allem wichtig, das Produkt mit Alternativen auf dem Markt zu vergleichen und auch dort eventuelle klinische Daten über das Nutzen-Risiko-Profil zu bekommen.
Der klinische Nutzen muss…
- auf messbaren Parametern basieren
- patientenrelevant sein
- wissenschaftlich valide sein.
Die Auswahl der zu recherchierenden Datenbanken ist genauso wichtig wie die Suchstrategie. Zwar gibt die EU-MDR keine konkreten Hinweise zur Auswahl der Literaturdatenbanken, doch fordert sie im Artikel 2 (48) Peer-Review-Publikationen. Eine wichtige Quelle dafür sind relevante Datenbanken oder Sicherheitsdatenbanken von Behörden, wie etwa:
- PubMed
- Cochrane Library
- Embase
- Klinische Leitfäden
- ClinicalTrials
- FDA-Datenbanken
- BfArM
- swissmedic
Das Johner Institut bietet hier einige nützliche Tipps für die konkrete Suche (etwa mit der Nutzung von Klammern und Anführungszeichen) in den verschiedenen Datenbanken.
Im Vergleich zur Medical Device Directive (“MDD”) müssen Hersteller mit der MDR viel präziser in der Formulierung der Zweckbestimmung sein. Mithilfe mehrerer Iterationsschleifen sollte zuletzt auch überprüft werden, ob das Konzept noch schlüssig ist.
Planungsphase
Die Planungsphase ist ein essenzieller Bestandteil der klinischen Prüfung und baut auf das Konzept auf. Sie kann bis zu mehrere Monate dauern, weswegen Medizinproduktehersteller sich gut überlegen sollten, ob eine klinische Prüfung überhaupt notwendig ist. Mit der falschen Populationsgröße oder Prüfungsform oder einem unrealistischen Projektplan kann eine klinische Prüfung nämlich schnell scheitern und unnötige Kosten verursachen. Bei der Planung werden konkrete Ziele bzw. die Ausrichtung der klinischen Prüfung festgelegt. Dabei muss definiert werden, ob und inwiefern das Produkt anderen bestehenden Produkten auf dem Markt überlegen ist.
Umfrage: Sind Hersteller bereit für die EU-MDR?
- 81% halten die MDR für „sehr herausfordernd” (im Jahr 2020 waren es 77%)
- Zu den größten Herausforderungen zählen „erhöhter Ressourcen- und Kostenaufwand” (70%), „fehlende Klarheit” (59%) und „erforderliche klinische Prüfungen” (54%)
- 31% schätzen, dass durch die MDR zusätzliche Kosten von zwischen 5 und 10% des Jahresumsatzes anfallen; 13% glauben sogar, dass es mehr als 10% sind
Zudem wird die Kurzzusammenfassung konkretisiert und die Ein- und Ausschlusskriterien werden um ethische Aspekte ergänzt. Auch die Messmethoden werden hier festgelegt: Falls es verschiedene Messmethoden gibt (etwa, Messinstrumente, Untersucher, Labore oder Erhebungszeiten), sollte vorher die Übereinstimmung der Messungen abgeklärt werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Fallzahlabschätzung mitsamt der möglichen Drop-Out-Rate (also der geschätzte Anteil der Patienten, welcher die Studie möglicherweise abbrechen wird). Mit digitalen Tools wie ePRO (“electronic Patient Reported Outcome) kann die Abbruchrate deutlich gesenkt werden; denn Produktanwender müssen sich nicht mit Papierfragebögen beschäftigen, sondern können die Umfragen bequem von jedem Endgerät ausfüllen. Alle Daten landen in Echtzeit beim Studienkoordinator. Jede klinische Studie erfordert eine Begründung für die geplante Stichprobengröße; daher empfiehlt es sich, die geplante Fallzahlen gemeinsam mit erfahrenen Medizinern und/oder Biometrikern zu erarbeiten.
Ferner müssen Hersteller in der Planungsphase Checklisten erstellen, etwa zur Einreichung des Plans bei der Ethik-Kommission, zum klinischen Prüfplan und Handbuch des klinischen Prüfters sowie des Prüfbogens gemäß EN ISO 14155:2020. Diese Checklisten sollten auch mit der EU-MDR abgeglichen werden. Zu den notwendigen Unterlagen gehören in dieser Phase der klinische Prüfplan, das Handbuch des klinischen Prüfers sowie der Prüfbogen (Case Report Form, kurz “CRF”). Hierbei ist zu beachten, dass der Prüfbogen nicht als “Fleißaufgabe” verstanden werden sollte.
Für Medizinprodukte ohne CE-Kennzeichnung müssen wesentliche Teile der Technischen Dokumentation, vor allem hinsichtlich der Basissicherheit, ebenfalls eingereicht werden. Dafür müssen technische und biologische Sicherheitsprüfungen durchgeführt werden.
Auch die Versicherung sollte an dieser Stelle berücksichtigt werden: Hat der klinische Prüfer eine Haftpflicht- und Rechtsschutzversicherung und wurde eine Personenschadenversicherung abgeschlossen? Weitere Infos zum Thema Versicherung gibt es hier beim Johner Institut.
Nicht zuletzt sollten auch die Prüforte ausgewählt und deren “Site feasibility” abgewägt werden. Dazu zählen Qualifikationen der involvierten Personen (etwa Good Clinical Practice Zertifikate, kurz “GCP”), die Auswahl des Personals (etwa Studienkoordinatorin) sowie die Infrastruktur (etwa die gewählten Prüfungs- und Messmethoden).
Einreichung- und Initiierungsphase
In der nächsten Phase kommen Hersteller mit verschiedenen Behörden in Berührung. Hierbei sollten besonders die Leitfäden zur Einreichung von der Ethik-Kommission beachtet werden, etwa das Anschreiben und das Inhaltsverzeichnis. Auch eine Checklist zum Kapitel der verschiedenen Normalen bzw. der EU-MDR kann hier helfen. Zudem macht es einen wesentlichen Unterschied, ob ein Produkt neuartig ohne Zulassung oder bereits CE-markiert ist. Im ersten Fall muss zwingend der Weg über die Ethik-Kommission gegangen werden.
Im Rahmen der Initiierungsvisite werden Logs festgelegt, Einverständniserklärungen von Prüfungsteilnehmern eingeholt, und Prozesse für die Meldung von unerwünschten Ereignissen (“Serious Adverse Events” oder “SAEs”) festgelegt. Zudem sollten potenzielle Nebenwirkungen definiert werden, die durch das Medizinprodukt hervorgerufen werden könnten.
Bis Mai 2021 soll es eine neue Version des Behördenantrags geben und auch ein EUDAMED-Modul soll für die Einreichung zur Verfügung stehen. Es empfiehlt sich, Trainings-Logs zu führen, Nachweisdokumente zu pflegen und alle Prozesse sauber zu dokumentieren. Hierbei geht es auch nicht darum, das Produkt zu vermarkten sondern nachweisbare Daten und Fakten vorzulegen.
Durchführungsphase
In der finalen Phase werden die Dokumente der klinischen Prüfung fortlaufend aktualisiert, dazu gehören auch die Einverständniserklärungen der Teilnehmer. Für das Monitoring sollten sich Hersteller eng mit ihrer Contract Research Organization (“CRO”) abstimmen. Sollte es Änderungen innerhalb des Teams am Prüfort geben, müssen diese ebenfalls festgehalten werden; dies wird meistens über die CRO getätigt. Zudem sollten die klinischen Daten fortlaufend validiert werden, um sicherzustellen, dass diese plausibel und korrekt sind – und zwar von einer Person, die nicht unmittelbar am Studienort sitzt. Hier kann eine Software zur klinischen Datenerhebung besonders hilfreich und zeitsparend sein. Etwaige Protokollabweichungen sollten ebenfalls dokumentiert bzw. behoben werden. Unerwünschte Ereignisse sollten erfasst, kategorisiert und gemeldet werden. Zudem sollte das “Trial Master File” bzw. das “Investigator Site File” aktuell gehalten werden.
Nach erfolgreichem Abschluss der Studie werden Close-out Visiten durchgeführt und das Investigator Site File geschlossen. Unterschriften der wesentlichen Beteiligten werden festgehalten und es muss einen Bericht der klinischen Prüfung inklusive der Kommunikation gemäß EN ISO 14155:2020 geben. Die Ergebnisse sollten in die Technische Dokumentation aufgenommen werden.
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