People behind healthcare innovation: Veronika Schweighart im Gespräch mit McKinsey
DATUM
22. Juni 2023
AUTOR
Sascha | Co-Founder & CEO
Dieser Artikel wurde erstmals von Pirkka Padmanabhan auf LinkedIn veröffentlicht.
Unsere Mitgründerin Veronika Schweighart war vor kurzem mit McKinsey im Gespräch. Das Unternehmen führt eine Interviewreihe mit Menschen, die hinter Innovationen im Gesundheitswesen stehen. Sie hat ihre Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Gesundheitsbranche geteilt und wertvolle Einblicke in unsere Cloud-basierte Software-Plattform für hybride klinische Studien und Beobachtungsstudien gegeben.
Pirkka: Was ist dein Hintergrund, wie bist du zu einer Innovationstreiberin im Gesundheitswesen geworden?
Veronika: Ich wollte schon sehr früh mein eigenes Unternehmen gründen. Während meines Studiums entwickelte sich meine Leidenschaft dafür, Menschen mithilfe von digitalen Technologien zu unterstützen und ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen. Die wichtigste Voraussetzung (neben der Leidenschaft), um Innovationen voranzutreiben, war für mich, praktische Erfahrungen zu sammeln und mit kompetenten, gleichgesinnten Menschen in Kontakt zu treten. Dabei hat mir das Center for Digital Technology and Management (CDTM) – ein gemeinsames Forschungs- und Ausbildungsinstitut der Technischen Universität München und der Ludwig-Maximilians-Universität München – am meisten geholfen. Hier konnte ich einige Gründungsideen in kurzen und intensiven Praxisprojekten im Probelauf testen. Direkt nach meinem Abschluss gründete ich mein erstes Technologie-Start-up, Nuclino – ein cloudbasiertes Software-Tool für Wissensmanagement, das es Teams auf der ganzen Welt ermöglicht, zusammenzuarbeiten und Informationen in Echtzeit auszutauschen.
Später gründete ich gemeinsam mit Dragan Mileski und Sascha Ritz Climedo. Beide hatte ich bei der CDTM kennengelernt. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir alle bereits Erfahrungen mit Start-ups gesammelt und leider auch in unserem engen familiären Umfeld einige negative Erfahrungen mit ineffizienten gesundheitlichen Behandlungen gemacht, teilweise mit schwerwiegenden Folgen. Unsere Motivation war deshalb, unsere Leidenschaft für digitale Technologie mit dem Ziel zu verbinden, das Gesundheitssystem grundlegend zu verbessern.
Nach einem intensiven Austausch mit führenden Ärzt:innen haben wir festgestellt, dass in der Digitalisierung klinischer Studien ein enormes Potenzial steckt, sowohl in der Wissenschaft als auch in der Industrie. Viele Unternehmen nutzen in ihren Studien beispielsweise immer noch papierbasierte Methoden, Excel-Tabellen oder sehr veraltete elektronische Datenerfassungssysteme, was die Prozesse deutlich ineffizienter und fehleranfälliger und damit auf Dauer auch teurer macht. Außerdem lassen sich diese Methoden in der Regel nicht mit anderen, modernen Lösungen wie Patiententagebüchern, Echtzeit-Datenvisualisierungen, Telemedizin oder Wearables kombinieren. So ist es schwierig, einen ganzheitlichen Überblick über den aktuellen Stand der Studie zu bekommen und zu verstehen, wo es Probleme geben könnte. Daher ist es nicht verwunderlich, dass 80% der herkömmlichen klinischen Studien später als geplant beendet werden und 30% der Patient:innen vorzeitig ausscheiden.
Climedo ermöglicht es allen Beteiligten von klinischen Studien (Patient:innen, Krankenhäusern und Studiensponsoren), medizinische Daten strukturiert zu erfassen und Erkenntnisse in Echtzeit zu gewinnen. Eine Möglichkeit dafür ist unsere ePRO-Lösung (“electronic Patient-Reported Outcome”), die es Patient:innen ermöglicht, von überall aus mit ihrem Telefon über ihren Gesundheitszustand zu berichten, ohne eine App zu installieren oder sich irgendwo anzumelden. Außerdem ist unsere ePRO-Lösung für eine einfache und selbsterklärende BYOD-Nutzung (“bring your own device”) optimiert. Der ePRO-Fragebogen kann durch objektive Daten von Wearables (etwa einer Smartwatch) ergänzt werden, die die Herzfrequenz, die Schrittzahl, die Schlafqualität usw. der Patient:innen aufzeichnen kann.
Zudem können, sofern das Studiendesign und die entsprechenden Zugriffsrechte es zulassen, alle an der klinischen Prüfung beteiligten Akteure medizinische Ergebnisse und Prozess-KPIs in Form von visualisierten Diagrammen sehen. Alle erhobenen Datenpunkte und deren Auswertung sind in Echtzeit abrufbar, was unser System im Vergleich zu anderen einzigartig macht. Dadurch können die Sicherheit und Wirksamkeit von Behandlungen viel einfacher und schneller bewertet werden, was letztlich zu besseren Behandlungsergebnissen der Patient:innen führt.
Pirkka: In welche Richtung werden sich klinische Studien deiner Meinung nach in den nächsten zehn Jahren entwickeln?
Veronika: Aufgrund von COVID-19 hat sich der Bereich der klinischen Studien zunehmend dezentralisiert und digitalisiert. Dies bietet enorme Chancen sowohl für Studiensponsoren als auch für Patient:innen. Sponsoren können beispielsweise eine höhere Anzahl von Patient:innen in Studien aufnehmen, was zu einer größeren Vielfalt und einer besseren Datenlage führt. Andererseits können Patient:innen auch dann teilnehmen, wenn sie in abgelegenen Gebieten wohnen oder ihr Gesundheitszustand es nicht zulässt, an einer herkömmlichen klinischen Studie teilzunehmen. Dadurch wird auch die Vielfalt der klinischen Prüfungen erheblich gesteigert, was dringend erforderlich ist.
Ich glaube, dass dieser Trend über die Pandemie hinaus Bestand haben wird, denn die Vorteile sprechen eindeutig für sich. Wir sehen diese Entwicklung auch bei unseren Kundenprojekten und -anforderungen. Darüber hinaus werden neue Technologien wie Wearables und Telemedizin bereits zunehmend in klinische Studien integriert. Das wird die effiziente Erfassung von Daten in realen und alltäglichen Umgebungen – direkt von Patient:innen – weiter unterstützen. Als Ergebnis werden wir bessere und frühere Erkenntnisse über die Wirksamkeit und Sicherheit von Behandlungen für Patient:innen mit bestimmten Merkmalen gewinnen, was wiederum zu besseren, hochgradig personalisierten Behandlungsoptionen für alle führen wird. Ich glaube, die Zukunft klinischer Studien wird wie folgt aussehen: Ein nahtlos vernetztes, dezentrales Ökosystem, das sich auf die Bedürfnisse jedes Einzelnen konzentriert und nicht auf Unternehmen oder einzelne Krankheiten.
Pirkka: Was sind deiner Meinung nach die größten Chancen und Hindernisse für Innovationen im Gesundheitswesen?
Veronika: Was die Chancen angeht, denke ich, dass die Gesundheitsversorgung viel stärker auf Patient:innen ausgerichtet werden kann. Das bedeutet, dass die Bedürfnisse der Patient:innen aktiv verstanden und in den Mittelpunkt des Systems gestellt werden. Außerdem kann so der Zugang zu klinischen Studien bequemer und benutzerfreundlicher gestaltet werden muss: Patient:innen können beispielsweise bequem von zu Hause an einer klinischen Studie teilnehmen, anstatt zu einem Studienzentrum zu fahren. Einem Bericht von Global Virtual Clinical Trials Markets (2021-2028)[1] zufolge ziehen 75% der Teilnehmer:innen an klinischen Studien mobile Studien den herkömmlichen vor.
Ein Hindernis, das wir hier in Deutschland sehen, ist sicherlich der schwierige Zugang zu anonymen Daten für Forschungszwecke. Digitale Lösungen “made in Germany” erfüllen wahrscheinlich die höchsten Datenschutzstandards der Welt und darauf können wir wirklich stolz sein. Gleichzeitig ist die anonyme Nutzung von medizinischen Echtdaten für Forschungszwecke eine der größten Chancen zur Verbesserung von Behandlungsergebnissen.
Daher sollten wir die Digitalisierung und die Nutzung medizinischer Daten im hoch geschützten Umfeld Deutschlands als Chance und nicht als Bedrohung sehen und dem Beispiel von Ländern wie Estland folgen. Dort sind ein hohes Maß an Digitalisierung, Datenaustausch und Datenschutz eng miteinander verbunden.
Pirkka: Wenn du das Gesundheitssystem ganzheitlich betrachtest (Leistungserbringende, Kostentragende, Ärzt:innen, Patient:innen), wer ist deiner Meinung nach der größte Innovationsmotor?
Veronika: Wie in vielen anderen Branchen stehen Start-ups ganz klar an der Spitze der Innovation. Auch im Gesundheitswesen sind Start-ups oft agiler und risikofreudiger als die etablierten Unternehmen in diesem Bereich. Gleichzeitig glaube ich, dass auch Patient:innen ein enormes Potenzial haben, Innovationen voranzutreiben. Aber wir als Unternehmen und Dienstleister müssen ihnen den Raum dafür geben, auf ihre Bedürfnisse hören und ihr Feedback in unsere tägliche Arbeit sowie unsere Prozesse einbeziehen. Unternehmen binden als ersten Schritt beispielsweise immer mehr Patientenvertreter:innen und Patientenorganisationen in ihre Forschungsprozesse ein. Das ist ein vielversprechender Ansatz, da es für uns unmöglich ist zu wissen, wie sich ein/e Patient:in wirklich fühlt, wenn man die Krankheit nicht selbst erlebt hat.
Pirkka: Was ist deiner Meinung nach die wichtigste Veränderung, die den digitalen Wandel in den Gesundheitssystemen besser ermöglichen wird?
Veronika: Eine wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche digitale Transformation in Gesundheitssystemen ist die Akzeptanz digitaler Tools durch die Endnutzer – Ärzt:innen, Pflegepersonal und Patient:innen –, die jedoch nur dann bereit sind, digitale Technologien in großem Umfang zu nutzen, wenn sie deren Vorteile sehen und spüren können.
In Europa haben die Menschen oft Angst vor radikalen Veränderungen, weil ein Risiko zu scheitern besteht. Ich rate daher zu einem Ansatz, der der Testphase einer neuen Idee in einem Start-up ähnelt: Teilt ein digitales Transformationsprojekt in kleine Abschnitte auf, stellt Hypothesen über den Nutzen auf, testet sie in kleinen Gruppen mit engen Feedbackschleifen, messt die Ergebnisse schnell, lernt daraus und passt sie entsprechend an. Sobald der Nutzen sichtbar ist, fügt man weitere Teile des Projekts hinzu und wiederholen den Zyklus immer wieder.
Kurz gesagt, wenn die digitale Transformation in Europa gelingen soll, sollten politische Entscheidungsträger:innen und Gesundheitsunternehmen eine unternehmerische Denkweise annehmen: Groß denken, klein anfangen und schnell handeln.
Pirkka: Was weißt du heute, was du gerne gewusst hättest, als du als Innovationstreiberin angefangen hast?
Veronika: Das Konzept “groß denken, klein anfangen, schnell handeln” war schon immer mein Mantra als Innovationstreiberin. Als ich mein erstes Start-up gründete, habe ich aber definitiv unterschätzt, wie wichtig es ist, sich wirklich auf eine Sache zu konzentrieren, ohne sich von anderen Möglichkeiten ablenken zu lassen.
Ein typisches Merkmal von Innovationstreiber:innen ist die Fähigkeit, Chancen zu erkennen, indem man immer nach neuen Ideen oder Konzepten Ausschau hält. Dies ist eine unglaublich wertvolle Eigenschaft, da sie Kreativität und Innovation fördert. Gleichzeitig kann sie uns aber auch von den wichtigsten Dingen ablenken, die getan werden müssen, um das Unternehmen voranzubringen.
Mit der Zeit habe ich gelernt, das richtige Gleichgewicht zwischen dem Herauszoomen (Festlegung und Anpassung der Unternehmensstrategie) und dem Heranzoomen (Entwicklung des Produkts, Gespräche mit Kunden) zu finden, um unsere Ziele zu erreichen.
Haftungsausschluss: Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten und Meinungen sind ausschließlich die des Autors und seines Gastautors und spiegeln nicht die Ansichten von McKinsey & Company wider.
Auf LinkedIn können Sie das Interview lesen und sich mit Pirkka und Veronika vernetzen.