Wie wichtig sind medizinische Studien für Menschen mit seltenen Erkrankungen?

Wie wichtig sind medizinische Studien für Menschen mit seltenen Erkrankungen?

DATUM

22. September 2022

AUTOR

Frank Hennemann

Gastbeitrag von Frank Hennemann

Zu mir: Mein Name ist Frank und ich wurde im Alter von sechs Monaten mit einer seltenen genetischen Erkrankungen diagnostiziert, für die es bis heute keine Heilung gibt.

Meine Erkrankung begleitet mich bereits mein ganzes Leben, mit dem ganzen Blumenstrauß an erlebten Emotionen, Situationen, Diagnosen und Prognosen. Letztere habe ich 28 mal überlebt und nutze jeden Tag und mache jeden Moment zu meinem. In meinem Leben habe ich erkannt, wie wichtig es ist, sich seiner eigenen Verantwortung bewusst zu sein. Dies sehe ich auch in Bezug auf meine Krankheit, die sehr selten ist.

In 95% Prozent aller Arzt-/Patientengespräche erkläre ich dem Arzt meine Erkrankung und nicht der Arzt mir. Auch das ist kein Vorwurf, da es alleine in Deutschland ca. 4 Millionen Menschen/Patienten mit seltenen Erkrankungen gibt. Die Eigenverantwortung bedeutet bei Patienten mit seltenen Erkrankungen, sich zu informieren, zu recherchieren und sich zu vernetzen. Menschen mit seltenen Erkrankungen sind meist isolierter, sei es aufgrund des Risikos oder auch durch Unverständnis und Angst im Umgang mit ihnen.

Ein weiterer wichtiger Punkt bei der Betrachtung unseres Lebens als Patient mit einer seltenen Erkrankung ist die Therapiesituation. Für mich zum Beispiel (Alpha1 Antitrypsin-Mangel) gibt es zwar eine medizinische Langzeittherapie, diese verlangsamt allerdings nur meinen Krankheitsverlauf, doch heilen wird sie mich nicht. Deshalb ist es mein ureigenes Interesse, jede Chance zu nutzen, mein Leben bzw. meine Lebensqualität so lange aufrechtzuerhalten und zu schützen, wie es mir möglich ist. 

Ich trage dabei nicht nur die Verantwortung für mich, sondern auch für meine Angehörigen, meine Freunde und meine Söhne, die 13 und 15 Jahre alt sind. Ich möchte ja auch so lange wie möglich für sie da sein und ja, ich möchte auch noch „Leben, Lieben und Lachen“.

Patientenorientierte Informationsmöglichkeiten für Menschen mit seltenen Erkrankungen

Wie komme ich aber nun an Information zu Studien bzw. Therapiemöglichkeiten? Gerade bei seltenen Erkrankungen gestaltet sich das etwas schwierig. Ich habe für mich mehrere Quellen gefunden. Das sind beispielsweise Studienwebseiten, Information von meinem Arzt, Google und die sozialen Medien bzw. über Patienten-Organisationen. Die größte Herausforderung bei allen Quellen besteht darin, für mich abzuwägen, wie hoch mein persönliches Risiko bei einer Studie ist – außer „manchmal“ bei meinem behandelnden Arzt, der es auch bedingt schafft, es mir entsprechend zu erklären. Denn nur die allerwenigsten können „patientisch“. 

Nun bezeichne ich mich als sogenannten „Superpatienten“, da ich bereits viele Jahre im Bereich Gesundheit, Pharma und Digitalisierung arbeite. Ich kenne Studien, kenne die Konzeption, den Aufbau und kann somit besser einschätzen, inwieweit eine Studie meinen Gesundheitszustand verbessern könnte. Leider nimmt eine Krankheit keine Rücksicht auf den Bildungsgrad, die Lebenssituation und den Status der Erkrankung. 

Wie kann man nun also einen leichteren/schnelleren Zugang zu den Informationen für eine vielleicht lebensrettende oder lebensverbessernde Studie erhalten? Wie kann ich die Studie so gestalten, sowohl vom Aufbau, der Sprache als natürlich auch vom Inhalt her, dass ich damit die größtmögliche Schnittmenge an Patienten erreiche? 

Essenziell ist die Teilhabe der Patienten schon in der Konzeption der Studie, der Gründung eines Patientenboards, das hier von Anfang an die Inputs geben kann, sowohl beim Aufbau, der Sprache und auch einer offenen Risikobewertung für den Patienten. Zudem auch bei der sehr speziellen Situation einer Placebo-Studie. Was ist eine Placebo-Studie? Wie gestaltet sich die Situation und natürlich auch die Erwartungshaltung der Patienten, möglicherweise kein Medikament zu bekommen? 

Man kann nicht erwarten oder glauben, dass ein „normaler“ Patient hier seine eigene Situation für sich einschätzen oder bewerten kann. Was ist dann die normale menschliche Reaktion? Zweifel, Unsicherheit bis hin zu Angst und somit wird sich ein Patient natürlich gegen die Teilnahme an der für ihn wichtigen Studie entscheiden. Also ist die Teilhabe der Patienten/Patientenboards essentiell für den Aufbau der Studie von Anfang an, zudem sehe ich aber auch eine sehr enge Begleitung der Patienten, aber auch der Angehörigen als Schlüssel zu einer höheren Teilnahme der Patienten an Studien. Des Weiteren einen klare und einfache Sprache, Risiko- bzw. Chancendarstellung für die Patienten und Angehörigen.

Angehörige als Stütze mit einbeziehen und die Rolle von Patienten im Gesundheitssystem

Ich möchte noch auf das Thema Angehörige im Rahmen von Studien eingehen, die meines Erachtens viel zu selten einbezogen werden. Es gibt seltene Erkrankungen, bei denen der Patient selbst schwer einschätzen kann, inwieweit eine Studie Einfluss auf die Lebenssituation, Partnerschaft oder Familie nehmen kann, die meist schon von der Situation der Erkrankung überfordert oder belastet sind. Auch hier funktioniert meines Erachtens nur die Teilhabe an der Studie, da auch die Angehörigen wichtige Inputs, Unterstützung geben können. 

Als weiteren Punkt im Rahmen von Studien muss man natürlich auch die Situation der Patienten in unserem deutschen Gesundheitssystem betrachten. Wir haben hier eine der besten Unterstützungen in Europa, die beste Versorgung an Therapien, Maßnahmen, Medikamenten und Nachsorge – auch wenn das einem persönlich so nicht immer so vorkommt. Wie soll also ein Patient, der eine gute Therapie erhält, einschätzen oder bewerten können, möglicherweise ein Placebo zu bekommen, das seine gesundheitliche Situation in dem Zeitraum verschlechtern könnte? Schließlich würde er dadurch möglicherweise im Studienzeitraum seine normale Therapie gar nicht erhalten. Wie kann trotzdem erreicht werden, dass Patienten teilnehmen und sich dadurch vielleicht langfristig die gesundheitliche Situation verbessern könnte? 

Fazit: Einfacher Zugang zu Informationen und Integration der Patienten und Angehörigen in die Behandlungsmöglichkeiten

Meine Erfahrungen, mein eigenes Leben und meine Betrachtungsweise zeigen mir folgenden Schlüsselelemente auf: 

Wir Patienten brauchen einen einfachen Zugang zu Informationen, brauchen die Informationen zu einer Studie in einer einfachen Sprache. Zudem ein klares, verständliches und ehrliches Aufzeigen der Risiken, aber auch der Möglichkeiten zur Teilnahme an der Studie. Hierzu sollten wir Patienten bzw. unsere Angehörigen früh in die Studie aufgenommen werden und das natürlich mit der relevanten Erkrankung, da wir uns mit dem Leben als Patient am besten auskennen. 

Wir wollen uns verstanden fühlen, was bedeutet, dass man uns zuhört und versteht, wie unser Leben mit unseren Erkrankungen außerhalb von Kliniken, Praxen oder medizinischen Einrichtungen aussieht. Lebensqualität umfasst so viele Kriterien und Zusammenhänge. Wie definieren wir Patienten unsere eigene Situation? Erst wenn unsere Situation entsprechend definiert wurde, kann eine Studie so aufgebaut werden, dass die Hürden zur Teilnahme so gering wie möglich gehalten werden. 

Hinzu kommt eine enge Betreuung der Patienten und Angehörigen durch ein einfühlsames medizinisches oder psychologisches Team, das die Stimmungen auffangen, bewerten und entsprechend darauf reagieren kann – für andere Patienten und Patienten-Organisationen bietet dies ebenfalls eine sehr wichtige Hilfe.

Ich nutze für mich und natürlich auch für meine Lieblingsmenschen jede Chance, mein Leben und meine Lebenserwartung zu verbessern. 

Frank Hennemann

Frank Hennemann

Frank Hennemann ist Gründer der Patienteninitiative “#patient – mit uns reden, anstatt über uns“. Diagnostiziert im Alter von 6 Monaten mit einer sehr seltenen genetischen Erkrankung. Seit 2010 ist er nicht nur als Patient, sondern auch als Patient Engagement Manager im Bereich Pharma und als Mentor, Speaker, Unterstützer und Patientenübersetzer in der Digitalisierung tätig. Impulsgeber, Knietreter und Elfenbeinturmrüttler sind seine Motivation im Sinne der Patienten und der Lebensqualität.

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